Rechtliche Infos zur Strafanzeige bei sexualisierter Gewalt

 

Rechtliche Informationen helfen betroffenen Jugendlichen, sich für oder gegen eine Strafanzeige bei sexualisierten Gewalterfahrungen zu entscheiden. Eine Rechtsanwältin hat wichtige Infos zur Strafanzeige zusammengestellt. Ihr könnt diese durchlesen, anhören oder herunterladen und ausdrucken.

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Welche Handlungen sind strafbar?

 

Welche Handlungen sind strafbar?

Alle Menschen haben ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Das bedeutet: Jugendliche haben das Recht, selbst über ihre Sexualität und ihre persönlichen Grenzen zu bestimmen. Sexuelle Handlungen sind nicht nur Sex, sondern beispielsweise auch Berührungen an intimen Körperstellen über oder unter der Kleidung oder Zungenküsse.

Sexuelle Handlungen finden mit und ohne Körperkontakt statt. Beispiele für sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt sind die Verbreitung von Nacktaufnahmen im Netz oder wenn jemand seine Genitalien zeigt, ohne den anderen zu berühren.

Einige dieser sexuellen Handlungen sind strafbar:

Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Erwachsene oder andere Jugendliche gegen den ausdrücklichen Willen sexuelle Handlungen an oder vor anderen vornehmen – diese beispielsweise auf sexuelle Art berühren. Ebenso ist es strafbar, wenn jemand andere dazu auffordert, dies gegen den ausdrücklichen Willen bei sich zu tun. Gegen den ausdrücklichen Willen sind alle sexuellen Handlungen, wenn eine Jugendliche oder ein Jugendlicher sagt oder durch Reaktionen zeigt, dass sie/er dies nicht will – zum Beispiel indem sie/er sich wegdreht, weint oder versucht wegzugehen.

Wendet jemand Gewalt an oder nutzt er es aus, dass eine Jugendliche oder ein Jugendlicher sich nicht wehren kann, wird eine Tat schwer bestraft. Wehren kann man sich zum Beispiel nicht, wenn man schläft oder betrunken ist. Dies ist beispielsweise auch der Fall, wenn man betäubt wurde.

 

 

 

Kinder bis zu 13 Jahren werden durch das Gesetz besonders geschützt. Wenn Erwachsene oder Jugendliche ab 14 Jahren Kinder zu sexuellen Handlungen auffordern oder an ihnen vornehmen, so ist dies immer strafbar. Sexuelle Handlungen mit und ohne Körperkontakt sind auch dann strafbar, wenn ein 13-jähriges Kind nicht zeigt oder sagt, dass es die Handlung nicht will.

Das Gesetz berücksichtigt, dass es für Kinder nicht möglich ist, sich gegen Erwachsene und ältere Jugendliche zu wehren. Auch verstehen Kinder manchmal noch nicht, dass es sich um eine sexuelle Handlung handelt und welche Folgen diese Erfahrung für sie haben kann. Das heißt aber zum Beispiel auch, dass sexuelle Handlungen zwischen 13 und 14-Jährigen verboten sind, auch wenn beide diese wollen. Fordern Erwachsene oder Jugendliche (ab 14 Jahren) Kinder auf, Nacktbilder von sich zu verschicken oder senden sie diesen Nacktbilder, so machen sie sich strafbar. Bei all diesen Taten handelt es sich um sexuellen Missbrauch von Kindern.

 

 

Erwachsene oder Jugendliche, die ein Abhängigkeits- oder Vertrauensverhältnis ausnutzen, um die körperlichen und/oder sexuellen Grenzen von Jugendlichen zu verletzen, machen sich strafbar. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Lehrer, Trainerinnen oder Erzieher Jugendliche, die ihnen haupt- oder ehrenamtlich anvertraut sind, sexuell belästigen oder zu diesen sexuelle Kontakte haben. Hier spricht man von sexueller Belästigung oder sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen. Im Einzelfall sollte man sich von einer Anwältin beraten lassen, ob ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des Gesetzes besteht.

 

 

 

Es ist strafbar, Kinderpornographie zu besitzen, zu verschicken oder herzustellen. Nach dem Gesetz sind dies Nacktbilder, erotische Bilder/Zeichnungen von Kindern unter 14 Jahren und Missbrauchsabbildungen. Ebenso ist es strafbar, wenn jemand Kindern bis zu 13 Jahren pornographisches Bildmaterial zeigt.

 

 

 

 

 

Vielen Jugendlichen ab 14 ist nicht bewusst, dass auch sie sich strafbar machen, wenn sie Nacktfotos, erotische Bilder von Kindern bis zu 13 Jahren oder entsprechende Videos auf dem Handy speichern oder per Chat verbreiten. Ebenso machen sie sich strafbar, wenn sie Kindern bis zu 13 Jahren pornographische Aufnahmen zeigen. Wenn Jugendliche ab 14 sich einvernehmlich, zum Beispiel in einer Beziehung, gegenseitig Nacktbilder schicken, ist dies nicht strafbar. Sie machen sich jedoch strafbar, wenn sie Nacktbilder oder -videos ohne Einverständnis der abgebildeten Person an andere weitergeben oder diese im Netz veröffentlichen.

 

 

 

TIPP: In manchen Fällen ist es schwierig zu beurteilen, ob eine Handlung strafbar ist. Dann kann es sinnvoll sein, sich in einer Beratungsstelle oder von einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt beraten zu lassen.

 

 

 

 

Wo und wie kann man Anzeige erstatten?

 

 

Wo und wie kann man Anzeige erstatten?

Es ist wichtig zu wissen, dass niemand zur Strafanzeige verpflichtet ist. Jeder kann die Polizei über eine Straftat informieren und eine Anzeige erstatten. Auch Außenstehende können dies tun. Eine Anzeige kann auf einer Polizeiwache, telefonisch oder online erstattet werden.

 

 

 

 

Bei der Polizei gibt es Fachabteilungen, die für Straftaten gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zuständig sind. Die Kriminalbeamtinnen und -beamten dieser Abteilungen sind für die Vernehmung von Opfern sexueller Gewalt fortgebildet. Am besten man erstattet die Anzeige direkt bei einer solchen Fachabteilung. Macht man die Anzeige bei einer normalen Polizeistation, werden betroffene Kinder und Jugendliche manchmal von Polizistinnen und Polizisten vernommen, die wenig Erfahrung in der Befragung von Opfern sexualisierter Gewalt haben. Die Anzeige wird anschließend ohnehin an die Fachabteilung weitergeleitet. Erhält die Polizei einen Hinweis auf die Vermutung eines sexuellen Missbrauchs, so muss sie Ermittlungen aufnehmen.

Eine Strafanzeige kann nicht zurückgenommen werden. Diese Information ist zum Beispiel wichtig, wenn man überlegt, eine Strafanzeige für jemand anderen zu erstatten und der- oder diejenige vielleicht kein Strafverfahren will.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie ermittelt die Polizei?

 

Wie ermittelt die Polizei?

Sobald die Polizei eingeschaltet ist, nimmt diese Ermittlungen auf. Das bedeutet, sie untersucht, was passiert ist. Die Polizei prüft, ob es sich dabei um eine Straftat handelt und ob es genügend Beweise für die Straftat gibt. Im Strafverfahren muss dem Täter oder der Täterin die Tat nachgewiesen werden. Das kann durch Aussagen von Zeuginnen und Zeugen geschehen, wenn jemand die Tat beobachtet hat. In einigen Fällen gibt es auch objektive Beweismittel. Dies sind zum Beispiel Aufnahmen der sexuellen Gewalthandlungen (Bild-, Ton- und Videoaufnahmen), Chatverläufe und Mails. Allerdings gibt es in vielen Fällen sexualisierter Gewalt keine Beweismittel, die vom Gericht als objektiv bewertet werden.

Sexualisierte Gewalt hinterlässt oftmals keine nachweisbaren Verletzungen. Spuren, wie zum Beispiel DNA, können zudem nur kurzfristig sichergestellt werden. Falls es möglicherweise DNA-Spuren auf der Kleidung oder auf Wäschestücken gibt, sollten diese keinesfalls gewaschen, sondern der Kriminalpolizei übergeben werden.

 

 

Häufig sind die Aussagen der Betroffenen der einzige Beweis. Deren Anhörung bei der Polizei hat folglich eine besondere Bedeutung im Ermittlungsverfahren. Die Anhörung ist in der Regel sehr ausführlich. Die Polizei muss genau nachfragen, was passiert ist. Auch andere, die etwas zu der Tat oder den Beteiligten sagen können, werden als Zeuginnen und Zeugen angehört. Manchmal ist auch eine ärztliche Untersuchung oder eine psychologische Begutachtung erforderlich.

Wenn die Polizei mit allen Zeuginnen und Zeugen gesprochen hat, wird die beschuldigte Person gefragt, ob sie eine Aussage machen will. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird diese Person also über die Anzeige informiert. Betroffene haben oft Angst, dass die beschuldigte Person ihnen etwas antut oder sie bedroht, wenn diese von der Anzeige erfährt. Das passiert jedoch sehr selten. Die Beschuldigten werden von der Polizei darauf hingewiesen, dass sie keine Zeuginnen oder Zeugen bedrohen oder beeinflussen dürfen. Sollte es doch zu einer Bedrohung kommen, kann bei Gericht ein Kontakt- und Näherungsverbot beantragt werden.

 

 

Was ermittelt die Staatsanwaltschaft?

 

Was ermittelt die Staatsanwaltschaft?

Die Polizei gibt ihre Ermittlungsergebnisse an die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob die angezeigte Tat strafbar ist. Auch prüft sie, ob die Beweise für ein Gerichtsverfahren ausreichen. Wenn es genügend Beweise für die Tat gibt, wird die Staatsanwaltschaft eine Anklage erheben und das Verfahren an das Gericht weitergeben.

Im Strafverfahren gilt der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“. Wenn die Beweise nicht ausreichen, wird die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen. Eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft bedeutet also nicht, dass keine Tat stattgefunden hat oder einer betroffenen Person nicht geglaubt wird. Eine Einstellung bedeutet nur, dass es nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht genügend Beweise für eine Verurteilung gibt.

 

 

Was passiert in einem Gerichtverfahren?

 

 

Was passiert in einem Gerichtverfahren?

Erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage, so kommt es zu einem Gerichtsverfahren. In der Gerichtsverhandlung liest die Staatsanwaltschaft zunächst die Anklage vor. Dann wird die angeklagte Person vom Gericht gefragt, ob sie etwas zu dem Vorwurf sagen will. Angeklagte müssen vor Gericht keine Aussage machen. Danach werden alle Zeuginnen und Zeugen noch einmal gehört. Es reicht nicht aus, wenn sie schon bei der Polizei ausführlich ausgesagt haben. Alle wichtigen Zeugenaussagen müssen vor Gericht nochmals wiederholt werden. Es kommt nicht darauf an, dass die Aussage genauso ist wie bei der Polizei. Zwischen den Aussagen liegen oft mehrere Monate, so dass sich die Erinnerung etwas verändern kann. Es geht darum, als Zeugin und Zeuge in der Gerichtsverhandlung das auszusagen, was noch erinnert wird. Manchmal werden in dem Gerichtsverfahren auch Sachverständige angehört, zum Beispiel Ärztinnen, Psychiater, Psychologinnen oder Beraterinnen. In Gerichtsverfahren haben Angeklagte das Recht, alle Zeuginnen und Zeugen zu hören, um sich verteidigen zu können.

 

Wenn die Anwesenheit eines Angeklagten allerdings gesundheitliche Folgen für eine Zeugin oder einen Zeugen haben kann, kann die oder der Angeklagte für die Dauer der Zeugenaussage ausgeschlossen werden. Dazu muss ein Antrag bei Gericht gestellt werden. Den Antrag auf Ausschluss des Angeklagten bei der Vernehmung stellt die Rechtsanwältin des Mädchens/Jungen. Es ist sinnvoll, wenn die Therapeutin oder der Therapeut eines Kindes oder einer/eines Jugendlichen bescheinigt, dass die Anwesenheit des Angeklagten zu gesundheitlichen Folgen führen kann.

 

Am Ende der Gerichtsverhandlung fällt das Gericht das Urteil. Es entscheidet, ob die Tat nachgewiesen wurde oder nicht.

▶︎ Wurde die Tat nachgewiesen, dann verurteilt das Gericht die angeklagte Person und setzt die Höhe der Strafe fest.

▶︎ Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Tat nicht nachgewiesen wurde, dann muss es die angeklagte Person freisprechen. Bestehen Zweifel an der Tat, so muss das Gericht den Angeklagten/ die Angeklagte auch dann freisprechen, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass an den Tatvorwürfen „etwas dran ist“. Eine Bewertung, bei der für das Gericht noch Zweifel bestehen, reicht für eine Verurteilung nicht aus.

 

Von wem können betroffene Jugendliche Unterstützung bekommen?

 

 

Von wem können betroffene Jugendliche Unterstützung bekommen?

Für die Betroffenen von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung kann ein Strafverfahren unangenehm und belastend sein. Sie müssen meist mehrfach genau erzählen, was passiert ist – auch, wenn ihnen dies peinlich ist. Ein Strafverfahren kann sehr lange dauern. Oft ist es schwer auszuhalten, nicht zu wissen, wie gerade der Stand der Dinge ist. Deshalb haben betroffene Kinder und Jugendliche in einem Strafverfahren besondere Rechte und Anspruch auf Unterstützung.

 

Jugendliche können sich vor einer Anzeige von einer spezialisierten Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt darüber beraten lassen, was bei einer Anzeige auf sie zukommt. Die Kosten dafür übernimmt die Rechtschutzversicherung ihrer Eltern, falls diese eine haben. Es gibt auch die Möglichkeit, bei dem Verein „Weißer Ring“ einen Beratungsscheck für eine anwaltliche Beratung zu beantragen. Spezialisierte Anwältinnen und Anwälte findet man in der Datenbank des Hilfe-Portals Missbrauch. Spezialisierte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte können Betroffene durch das gesamte Verfahren begleiten – zum Beispiel schon bei der polizeilichen Aussage.

 

 

Spezialisierte Rechtsanwältinnen/Rechtsanwälte…

…werden bei der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht beantragen, um zu erfahren, wie der Stand der Dinge ist – was die beschuldigte Person zum Beispiel sagt.

…können die Vernehmung weitere Zeugen vorschlagen

erklären betroffenen Jugendlichen, wie die Gerichtsverhandlung abläuft

begleiten und unterstützen Jugendliche am Tag der Gerichtsverhandlung. Sie beantragen zum Beispiel, dass der Angeklagte während der Zeugenaussage der betroffenen Jugendlichen ausgeschlossen wird.

Die Kosten für spezialisierte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte übernimmt in den meisten Fällen der Staat. Den Antrag auf Kostenübernahme stellen die Anwältinnen beim Gericht.

 

In einem Strafverfahren bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung haben Kinder und Jugendliche das Recht auf eine psychosoziale Prozessbegleitung. Das ist eine Person, die Betroffene durch das gesamte Strafverfahren begleitet und unterstützt. Sie kann zum Beispiel bei Vernehmungen dabei sein, den Kindern und Jugendlichen vor der Verhandlung den Gerichtsaal zeigen und diese bei Wartezeiten begleiten. Auch kann die Prozessbegleiterin Betroffene bei der Suche nach Hilfe- und Beratungsangeboten unterstützen.

Die psychosoziale Prozessbegleitung ist kostenlos. Sie muss beim Gericht beantragt werden. Diesen Antrag wird zum Beispiel die Anwältin einer betroffenen Jugendlichen stellen. Kontaktanschriften der psychosozialen Prozessbegleitung bekommt man auch über Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt.

 

TIPP: Wegweiser des Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz
Ich habe Rechte – Wegweiser durch das Strafverfahren für jugendliche Zeuginnen und Zeugen

 

 

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